Freitag, 19. September 2008

klangvoll

Wie lange es dauern wird, fragt mich der Mann und deutet auf das kleine Cello, das noch ohne Saiten und Steg in seiner Halterung wartet. Ich wage eine großzügige Schätzung und antworte ihm: „Zwanzig Minuten, vielleicht fünfzehn!“ Dann würde er mit seinem kleinen Sohn in einem Café die Zeit überbrücken und später wieder vorbeischauen, ob ich es ihm auch stimmen könne fragt er noch und verlässt mit dem Kind das Geschäft.

Den ganzen Tag über habe ich Kontodaten in den Computer gegeben und Notenbestellungen entgegen genommen. Zu Arbeiten an den Instrumenten werde ich kaum angehalten, obwohl ich das viel lieber täte. Ich bin etwas aufgeregt, denn es wäre das erste Mal, dass ich ein neues Cello besaiten, den Steg aufstellen und in die richtige Position bringen würde. Steg und Saiten wurden mitgeliefert und ich öffne vorsichtig die Papierhülle der C-Saite. Als ich mit der Arbeit beginnen möchte, fällt mir auf, dass an diesem kleinen Cello etwas Wichtiges fehlt: der Saitenhalter. Irgendwo müssen die Saiten befestigt werden, die ich dann über den Steg aus Buche ziehen kann, der noch lose auf dem Tisch liegt, um sie dann in die kleine Bohrung der ebenhölzernen Stimmwirbel zu fädeln. Ich lege das halbe Cello, das mich mit seinem wunderbaren rotbraunem und dem noch unversehrten matten Lack über dem fein gemaserten Fichtenholz der Resonanzdecke anstrahlt, auf die Klavierbank.
Es ist sehr eng in diesem neuen Geschäft, das erst eine Woche zuvor eröffnet worden war. Als frisch engagierte Aushilfe hatte ich von den gestressten Inhabern erstaunlicher Weise nur eine sehr kurze Einweisung erhalten. Beim Blick auf die Uhr und dem Gang in das kleine überfüllte Lager, trat mir der Schweiß auf die Stirn. Saitenhalter für Violinen hatte ich schon irgendwo gesehen, aber woran erkenne ich nun Saitenhalter für halbe Celli? Ich finde eine unbeschriftete Kiste, die mir Hoffnung gibt. In der Ecke steht ein 4/4 Cello, an dem ich zumindest erkennen kann, wie in etwa die Größenverhältnisse aussehen müssen. Etwas in der Hand haltend, das mir passend erscheint, verlasse ich das Lager. Nun wieder im Licht, finde ich auf der Innenseite eine kleine vielversprechende Gravur: für ½ und ¾. Jetzt habe ich alles beisammen.
Derart wackelig hatte ich mir diese Prozedur allerdings nicht vorgestellt. Auf dem Klavierhocker schwankt das Instrument auf Grund seiner Wölbung wie ein Ruderboot auf dem Trockenen. Der Saitenhalter, der auch erst zu einem solchen wird, in dem der Knopf am Cellostachel von einer Seite und die aufgezogenen Saiten von der anderen ihm Halt geben (wie absurd, die Saiten halten den Saitenhalter), erschreckt mich durch seine Schieflage nach dem Aufziehen der C-Saite. Am Rand von nur einer Saite gehalten, kann er natürlich nicht mittig stehen, ich suche nach der hohen a-Saite. Nach ihrem erfolgreichen Befestigen kann ich nun den Steg zwischen die Saiten und den Resonanzboden klemmen, möglichst richtig herum. Nun sieht das Ganze einem Saiteninstrument schon verblüffend ähnlich, ich habe noch drei Minuten bis der Mann mit seinem Sohn wieder kommen würde. Ich beziehe das Cello mit der fehlenden g- und d-Saite und stelle erfreut fest, wie geschmeidig sich die Wirbel in ihren perfekt angepassten konischen Bohrungen drehen lassen, ohne zu knacken und mit festem Halt. Den Steg richte ich nun von allen Seiten nach, so dass er gerade und unverzogen auf der Resonanzdecke mittig zwischen den f-Löchern ins Gleichgewicht kommt. Auf dem schwarzen Griffbrett, das auch aus Ebenholz gefertigt ist, finde ich in ausdrucksvoller Handschrift eine Bleistiftnotiz des Geigenbauers: „guter Klang“. Nun beginne ich das Instrument zu stimmen, den Steg dabei ständig nachjustierend, denn durch die steigende Zugkraft der Saiten biegt er sich immer wieder in Richtung Griffbrett.
Ein Klang von ersten Pizzicatotönen erfüllt den kleinen Raum und ich staune nicht schlecht, denn für die Größe eines halben Cellos ist es tatsächlich ein warmer voller Klang. Da geht die Tür auf und zwei erwartungsvolle Augenpaare sehen mich an. Glücklich reiche ich dem Jungen das Instrument, das neben ihm riesig wirkt und bitte ihn, es zu halten, während ich den kleinen Bogen mit bernsteinfarbenem Kolophonium bestreiche, dem Harz, das dem Rosshaar die richtige Griffigkeit auf den Saiten verleihen soll. Ich bitte den Jungen, mir sein zukünftiges Cello noch einmal zu überlassen und spiele einen Ton auf jeder Saite. Da ich bisher nur mit Violinen Umgang hatte, begnüge ich mich mit den leeren Saiten. Völlig gerührt von diesem schönen Klang, den die beiden wohl erwartet hatten, von dem ich allerdings überrascht bin, gebe ich es ihm zurück. Meine Hand fühlt ein letztes Mal die angenehm samtene Glätte des Cellobodens aus geflammtem Ahorn. Jedes Streicheln über dieses Holz erzeugt den Klang einer Windbrise in meinen Ohren. Fichte und Ahorn, weich und hart, Ebenholz und Rotbuche, weitgereist und einheimisch. Schöne spannungsvolle Gegensatzpaare, die wohlklingende Harmonien erzeugen können aber auch zerreißendes Schluchzen. Der Vater blickt zufrieden drein, der Junge sieht mich ein bisschen keck an. Ich wünsche dem Kleinen viel Freude mit seinem neuen Cello, das ihm geliehen wird bis er ein größeres brauchen würde und schaue den beiden beim Verlassen des Ladens ein wenig sehnsüchtig hinterher.

Die Tür öffnet sich erneut und der Mann von eben deutet auf etwas, das aus einer versteckten Tasche an der Rückseite der Cellohülle lugt. „Gehört das zu Ihnen?“ Ich bedanke mich. Es ist der Saitenhalter, den ich vorhin in meiner Aufregung übersehen hatte.

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