Gut so, Judy!!! - Judith Butler lehnt Preis für Zivilcourage auf Berlins Mainstream-CSD vor dem Brandenburger Tor ab

Dieser Preis bringe sie in Schwierigkeiten, erklärt die US-amerikanische Philosophin, Philologin und Gendertheoretikerin Judith Butler gegen 19 Uhr auf der großen Bühne vor dem Brandenburger Tor. Sie habe in den letzten Tagen einiges über Berlin lernen können und leider auch feststellen müssen, dass sich die Veranstalter_innen des kommerziellen CSDs von rassistischen und islamophoben Äußerungen nicht distanzierten. Unter diesen Umständen könne sie von dieser Seite keinen Preis für Zivilcourage entgegennehmen. Man dürfe sich nicht vor den Karren von Organisationen spannen lassen, die im Namen einer queeren Gemeinde Kriege führten und Bündnisse eingingen, in denen Rassismus sowie Antiislamismus geduldet wurden.
Wenn jemand einen Preis für Zivilcourage verdient hätte, so Judith Butler, dann seien es die politischen Gruppen, die seit langem und oft ehrenamtlich mit Menschen zusammenarbeiteten, die in doppelter oder dreifacher Weise diskriminiert würden bspw. wegen ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Behinderung, ihrer Religion oder ihres Geschlechtes. Judith Butler zählte einige dieser Berliner Gruppen aus dem linken Spektrum auf und erwähnte ausdrücklich, dass diese auch zu den Mitorganisator_innen des transgenialen CSDs in Kreuzberg und Neukölln gehörten, der sich nicht an den Fussballspielen der WM ausrichten wollte und in einer Woche stattfinden würde, damit an das Originaldatum des Aufstandes im Stonewall Inn erinnert werde.
Butler legte ihre Gedanken dar, um die es am Vortag auch in ihrem Vortrag an der Volksbühne gegangen war, nämlich, dass sich ein Queersein nur im Zusammenhang mit einer Friedensbewegung denken lassen könne.
Eine kleine Gruppe links vor der Bühne zollte ihr großen Jubel und Anerkennung für ihre Worte und die Ablehnung dieses Preises.

Die Bundestagsabgeordnete und Fraktionscheffin der Grünen Renate Künast, die eine betont lässige Laudatio auf Judith Butler gehalten hatte, in der sie auf die betrunkene desinteressierte Masse zeigte und spaßig darauf hinwies, dass dies ihre Fans seien, die all ihre Bücher gelesen haben, hätte gut daran getan, sich wenigstens Butlers Namen vor ihrer Laudatio durchzulesen, so schwer war er nun auch nicht. Wahrscheinlich hatte auch Künast schon einen im Tee gehabt, denn sie schaffte es selbst bei der fünften Gelegenheit nicht, Butlers Namen richtig auszuprechen.

Nach der Erklärung Butlers waren sich die Moderatoren nicht zu schade, im gleichen Tonfall fortzufahren und ins Mikrophon zu rufen, Judith Butler wäre nicht Judith Butler, wenn sie nicht an allem etwas zu kritisieren hätte. Sie könne sich nicht einmal über diesen Preis freuen. Einer der Moderatoren mit den lustigen Engelsflügeln fügte beschwingt hinzu, es solle noch einmal jemand sagen, dieser CSD sei nicht politisch. Ja, er war es tatsächlich in diesen Minuten und das lag sicher nicht an ihm. Oder doch? Zu der Gruppe von Menschen, die sich immer noch jubelnd über Butlers Statement freuten und in den Armen lagen, sagte er durch sein Mikrophon, das seine Stimme von der großen Bühne über das Brandenburger Tor und darüber hinaus trug: Man siehts ja, mit euch kann man keinen gemeinsamen CSD feiern, aber ihr habt nicht die Mehrheit hier.
IHR SEID NICHT DIE MEHRHEIT HIER!
Lieber Herr Moderateur: Kann man sich selbst noch mehr disqualifizieren? Seit wann geht es beim CSD um die Rechte von Mehrheiten?
Prost!
halina bendkowski - 20. Jun, 17:46

warum ich martin dannecker zum zivilcouragepreis gratuliere und –aber- nicht judith butler

warum ich martin dannecker zum zivilcouragepreis gratuliere und –aber- nicht judith butler



auch millionen butlers, die der längsten und erfolgreichen akademischen ab/schreib/bewegung angehören, können irren.

judith butler war nicht couragiert als sie das werden der geschlechter queer hinterfragen wollte.

nichts anderes ist seit simone de beauvoirs klasssichem zitat:

eine frau wird nicht als frau geboren, sie wird dazu gemacht

ein feministischer allgemeinplatz.

daß es judith butler gelang

in ihrem“ unbehagen der geschlechter“ das lesbisch-sein, queer zu verstecken und dabei akademisch karriere zu machen, ist ihrer klugheit, aus der uneindeutigkeit, theoretisch und praktisch auch für die adeptinnen, mehr freiraum zu gewinnen.

der gewinn lag in der zurückweisung von politik, die im vergleich zur vieldeutigkeit, eindeutigkeiten verlangt.

und die sind manchmal peinlich und erfordern mut, wie z.b. sich als lesbisch oder schwul zu outen.

so wie es einst martin dannecker tat:

"nicht der homosexuelle ist pervers, sondern die situation, in der er lebt."

sicherlich gibt und gab es auch immer bi-sexuelle, aber doch immer weniger als die vielen, die sich dahinter versteckten.

mit der verqueerung von judith butler, die für diejenigen in der coming-out phase eine nicht zu unterschätzende hilfe bot, uneindeutig zu bleiben, entstand eine nun 20jährige queer -ära, die sich darauf beschränkt, immer das konkrete nicht zu meinen. so emanzipiert man sich davon, politik zu machen, politik zu machen, verlangt nicht nur deklarationen, sondern auch zugeständnisse, identifikationen mit den peinlichen.

ist man nun für die gleichen rechte oder mehr für eine queere distanz von lesben, schwulen, bisexuellen und transgendern?

traut man sich die unfreiheiten anderer in anderen ländern, wie im eigenen land wahrzunehmen und zu kritisieren?

das heißt noch immer sich zu outen.

alles im queeren zu lassen. kann theoretisch wunderbar sein, was es auch ist.

courage bedeutet aber immer konkret zu sein.

ps. daß judith butler nun den preis öffentlich nicht angenommen hat und das mit der zu kommerziellen und oberflächlichen ausrichtung begründet, wird der einfachheit halber medial als links gehandelt.

links gegen parties zu sein ist aber doch so recht kein ersatz für politik, die aber siehe oben...
freundlichst halina.bendkowski@gmx.de
agentin für feminismus& geschlechterdemokratie

im garten mit satie - 21. Jun, 15:10

konkret und couragiert

Politik zu machen bedeutet für mich auch, im richtigen Moment Chancen zu nutzen, der Öffentlichkeit und sich selbst einen Spiegel hinzuhalten, Aufmerksamkeit gezielt zu lenken auf Menschenrechtsverletzungen jeglicher Art. Schmerzhaft kann das sein, wie zu bemerken wir gerade die Gelegenheit haben.

Fragen wir uns, mit wem und vor allem weshalb sie sich solidarisiert und auch warum diese Menschen unsere Solidarität brauchen!
Ich finde, Judith Butler ist sehr konkret geworden in ihrer Begründung zur Ablehnung dieses Preises. Dass große Tageszeitungen diesen einen Satz über Kommerz und Oberflächlichkeit von einander abschreiben, ist auch wieder nur ein Hin- und Herspiegeln der Oberfläche. War nicht die fehlende Auseinandersetzung mit rassistischen Argumentationsweisen seitens der veranstaltenden Organisationen ein gewichtiger Grund für ihre Ablehnung? Ist das nicht konkret genug? Und wie anders, als couragiert und mutig, können wir beispielsweise die Positionierung Judith Butlers als jüdische lesbische amerikanische Geisteswissenschaftlerin zu Fragen israelischer Besatzungspolitik nennen? SIE traut sich, Unfreiheiten in anderen Ländern und im eigenen wahrzunehmen und fundiert zu kritisieren. Welchen Anfeindungen sie sich damit aussetzt, ist verschiedentlich nachzulesen.

Wenn Judith Butler auf diesem CSD wirklich als wissenschaftlich schaffende Person und Denkerin, die in der Lage ist, Anstöße zu geben und zu nehmen, geehrt werden sollte und nicht nur als Ikone der Lesben, dann wäre es seitens der Veranstalter_innen einen Versuch wert gewesen, sich einmal unter all den schillernden Oberflächen auf die Suche nach ihren aktuellen Gedanken zu begeben. Dafür und nicht nur dafür verdient sie großen Respekt, den ich übrigens auch Martin Dannecker erweise.

Nur so kann Dialog entstehen. Wir sollten diese Chance nutzen!

Bitte lesen Sie vor allem die Presseerklärung von SUSPECT und suchen Sie mit Ihnen den Dialog.

http://www2.gender.hu-berlin.de/ztg-blog/2010/06/suspect-pressrelease-judith-butler-berlin-pride-2010/#comments

Ich danke Ihnen für Ihren direkten Kommentar.
Bodo1 - 21. Jun, 15:22

Judith Butler kritisiert pauschal, aber wo sind die Beispiel

Judith Butler hat den Zivilcouragepreis verdient, denn sie hat unbestreitbare Verdienste für eine grundlegende Kritik an der Heterosexualität als Norm gesellschaftlicher Verhältnisse. Wir haben Sie als kritische Intelektuelle eingeladen und von daher mussten wir mit Kritik rechnen. Doch ihre Kritik des Nationalismus und Rassismus durch „Teile der Mitveranstalter“ irritiert uns. Der CSD hat nur einen Veranstalter, den Berliner CSD e.V. repräsentiert durch die vier Vorstände. Thema, Motto und Forderungen werden im CSD-Forum basisdemokratisch bestimmt. Dies ist bundesweit einzigartig.
Der Berliner CSD wendet sich stets gegen jede Form des Rassismus und Antisemitismus. Wir freuen uns über das schwenken israelischer Fahnen auf dem CSD, anders als beim Transgenialen CSD
Da Frau Butler noch bis zum 12. Juli in Europa weilt, werden wir mit ihr das Gespräch suchen, damit sie die Vorwürfe konkretisieren kann. Wir haben sie bereits kontaktiert. Wir werden auch das Gespräch mit den von ihr benannten Gruppen suchen, einige Gespräche sind sogar schon erfolgt.
Schade finden wir, dass wir diesmal mit Thema und Motto ein klares Bekenntnis für die Menschenrechte von Trans* und Intersexuellen abgeben wollten. Ammo Recla, ABQueer, sprach auf der Bühne über Transrechte im Berliner Akzeptanzplan. Dieses Thema fiel nun durch Butlers Eklat nach hinten.
Der Berliner CSD lebt von der Community, deshalb werden nach dem Sommerloch wieder die gesamte Community zu einem Forum einladen. Wir hoffen, das LesMigras, Suspect, die Lesbenberatung (die im übrigen den Zivilcouragepreis vor drei Jahren vom Berliner CSD erhalten) und viele andere an einer interessanten Debatte zu in Inhalt und Form des nächsten CSD teilnehmen.
Bodo, Vorstand Berliner CSD

im garten mit satie - 21. Jun, 18:18

Beispiele und Verdrehungen

Ja, es ist schade, dass das Thema und ein Bekenntnis für die Menschenrechte von trans- und intersexuellen Menschen bei diesem CSD untergingen. Aber das lag doch nicht an Judith Butlers Ablehnung des Preises! Ammo Recla von ABQueer sprach ja doch vor der Preisverleihung und dieser Programmpunkt auf der großen Bühne machte den Eindruck eines Lückenfüllers.

Wie konnte das nur geschehen?

Meines Wissens gibt es auf solchen Bühnen großartig ausgefeilte Zeitpläne, an denen viele Menschen im Vorfeld arbeiten, besonders wenn so aufwendige Technik mit im Spiel ist und viel Geld für die betreuenden Veranstaltungsfirmen mit ihren PAs ausgegeben wird.

Der goße Teil des Publikums war so gar nicht sensibel und aufmerksam für das, was Ammo Recla zu sagen hatte. Und das finde ich wirklich schade, dass dieses wichtige und unterrepräsentierte Thema bei dieser Art von CSD keine Chance hatte, angemessen wahrgenommen zu werden. Es ist traurig, dass es bei all dem Aufwand nicht gelungen ist, einen Rahmen dafür zu schaffen. Ich glaube nicht, dass das einfach nur dumm gelaufen ist, sondern sich aus der Art, dem Ort und der Größe der Veranstaltung herleiten läßt. Große Teile dieses Publikums, schienen wohl blind und taub für dieses Thema zu sein.
Dafür Judith Butler verantwortlich zu machen, kann ja nicht euer Ernst sein!? Im Gegenteil, durch die nun ausgelöste Diskussion besteht erneut und diesmal vielleicht eine echte Chance auf Aufmerksamkeit für und die Solidarität mit trans- und intersexuellen Menschen.

Eins noch: "Der Berliner CSD wendet sich stets gegen jede Form des Rassismus und Antisemitismus. Wir freuen uns über das schwenken israelischer Fahnen auf dem CSD, anders als beim Transgenialen CSD"

Wie ist dieser Zusammenhang zu verstehen? Warum freut ihr euch über das Schwenken von israelischen Fahnen auf dem CSD? Weil die israelische Regierung eine so tolle Politik macht?

Für alle Schnell/ver/urteiler_innen: Fahrt bitte selbst in den Nahen Osten, wenn ihr könnt, versucht euch ein Bild von "beiden Seiten" zu machen, ohne pauschal zu verurteilen, das ist verdammt schwer. Wer sich dann noch über irgend etwas ganz sicher ist, kann es ja mal versuchen, in Worte zu fassen!

Ich begrüße Eure Idee, das Gespräch mit den erwähnten Gruppen und Judith Butler zu suchen und hoffe sehr, ihr habt sie nicht gerade vollends vor den Kopf gestoßen.

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