Beinahe - Déjà-vu beim Transgenialen CSD 2010 auf der Heinrichplatzbühne in Berlin-Kreuzberg
In den stündlichen Morgennachrichten von Radio-1 war es noch nach einer Woche zu hören und die Meldung lautete ungefähr so:
Heute findet in Kreuzberg und Neukölln der Transgeniale CSD statt. Er wird von der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler unterstützt, die das Engagement der darin antirassistisch arbeitenden Gruppen betonte. Butler hatte vor einer Woche den Preis für Zivilcourage von den Organisator_innen des kommerziellen CSD in Berlin abgelehnt und ihnen Rassismus vorgeworfen. Damit hatte sie einen Eklat ausgelöst und eine heftige Diskussion zu diesem Thema angestoßen.
Es war deutlich zu spüren beim diesjährigen TCSD, wie sehr Judith Butlers Anerkennung für GLADT, LesMigraS, SUSPECT und Reachout etwas bewirkt hatte. Die Gesichter der Vertreter_innen dieser Gruppen strahlten eine Freude und Souveränität aus, die jenen Menschen eigen ist, die wissen, dass ihr Handeln große Bedeutung hat, auch wenn es keinen Preis dafür gibt und die nun dennoch vielleicht unerwartet mit verdienter Anerkennung und Solidaritätsbekundungen ausgezeichnet wurden.
Viele Redebeiträge auf der Bühne am Heinrichplatz bezogen sich u.a. inhaltlich auf die nach Butlers Erklärung entbrannte Debatte um rassistische Tendenzen in der deutschen Schwulen- und Lesbenbewegung und auf die Arbeit der Organisationen für die Rechte und den Schutz von Trans-Menschen. Es kam außerdem zu zahlreichen Solidaritätsaufrufen wie z.B. mit dem „Pride Budapest“.
Die beiden Moderatorinnen der Bühnenshow provozierten einige Déjà-vus. So konnten wir vielleicht noch lachen über die Preisverleihung eines goldenen Stück Scheißes am deutschen trikoloren Band für einen imaginären ehemaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin, der dann in Anlehnung an Butlers Vorlage eine Rede hielt, warum er den Preis nicht annehmen könne und an wen er ihn weiterzureichen gedenke.
Aber nicht alles, was von der Bühne kam, war gut auszuhalten. Wer ein Mikrophon auf einer Bühne in der Hand hält, hat eine gewisse Potenz und trägt eine gewisse Verantwortung. Das haben wir letzte Woche eindrücklich erleben dürfen. Satire, wenn sie gut gemacht ist, Hinweise auf das Geschehen um die Bühne herum, politische Kritik an Äußerungen und Handlungen, Anklagen und Vorwürfe – das alles geht meiner Meinung nach klar und dafür gibt es Bühnen, die sich an eine Öffentlichkeit richten. Jedoch Beschimpfungen von der Bühne herunter gegen Einzelne oder gegen Gruppen, stellen immer nur die Beschimpfenden bloß, sagen nichts über die Beschimpften aus, können immer nur unsachliche Fäkalsprache sein. Selbst wenn ich einen wiederholt übergriffigen und offensichtlich betrunkenen Mann auch konsequent der Veranstaltung verweisen würde, finde ich es schwierig vor einem Publikum von mehreren hundert Menschen auf eine anwesende Einzelperson zu zeigen und zu skandieren: Verpiss dich! Wir wollen dich hier nicht haben. Von der Bühne herunter das auch hier nicht mehr ganz nüchterne Publikum aufzurufen, in eine Situation einzugreifen, in der es um eine Einzelperson geht, halte ich für gefährlich. Derartige Situationen müssen im Vorfeld von den Veranstalter_innen diskutiert und vorbereitet werden. Sich erst von der eingreifenden Polizei zu distanzieren, dann hilflos nach ihr zu rufen und dann ganz im gleichen Wortlaut, den vor einer Woche die kritisierten CSD-Moderatoren vor dem Brandenburger Tor gebrauchten, vor dem offenen Mikrophon zu erklären: „Wir machen einfach weiter im Programm!“ war peinlich und … nun ja … verantwortungslos. Solche Veranstaltungen vorzubereiten und zu moderieren ist schwer, ich weiß!
Um so mehr erfreute und berührte die Courage einer der Kingz of Berlin, die seit Stunden auf ihren Auftritt gewartet hatten und etliche Verzögerungen über sich ergehen ließen, bevor sie endlich die Bühne betreten konnten. Hier wurde einmal das eigene Unwohlsein über den Umgang mit der Situation hinter der Bühne spontan formuliert. Hier wurde einmal gezeigt, dass es möglich ist, als Teil einer Gruppe mit verschiedenen politischen und künstlerischen Aussagen, unter dem Druck eines größeren Ablauf- und Zeitplanes einen klaren Kopf zu behalten, dem eigenen Gefühl und Verstand zu vertrauen und mit dem Mikrophon in der Hand STOP zu sagen: Lasst uns kurz darüber nachdenken, was wir jetzt machen wollen! Habt ihr im Hinterkopf, dass es gerade eine seltsame Situation gibt? Wollt ihr zu diesem Zeitpunkt unseren spaßigen Bühnenbeitrag? Machen wir einfach weiter im Programm? Im Gesichtsausdruck und nur für die ersten Reihen erkennbar stand noch etwas anderes: Seht ihr die Parallelen?
Die schöne Bühnenshow der Kingz ließ sich durch dieses Infragestellen überhaupt erst ansehen.
Da hat einmal mehr jemand Verantwortung übernommen und eine eigene Verbindung zu den Forderungen und Themen des TCSD hergestellt, ohne zu beschimpfen, ohne mit dem Finger zu zeigen, mit ein paar einfachen Fragen. Für mich war das der berührendste Augenblick an diesem Abend.
Heute findet in Kreuzberg und Neukölln der Transgeniale CSD statt. Er wird von der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler unterstützt, die das Engagement der darin antirassistisch arbeitenden Gruppen betonte. Butler hatte vor einer Woche den Preis für Zivilcourage von den Organisator_innen des kommerziellen CSD in Berlin abgelehnt und ihnen Rassismus vorgeworfen. Damit hatte sie einen Eklat ausgelöst und eine heftige Diskussion zu diesem Thema angestoßen.
Es war deutlich zu spüren beim diesjährigen TCSD, wie sehr Judith Butlers Anerkennung für GLADT, LesMigraS, SUSPECT und Reachout etwas bewirkt hatte. Die Gesichter der Vertreter_innen dieser Gruppen strahlten eine Freude und Souveränität aus, die jenen Menschen eigen ist, die wissen, dass ihr Handeln große Bedeutung hat, auch wenn es keinen Preis dafür gibt und die nun dennoch vielleicht unerwartet mit verdienter Anerkennung und Solidaritätsbekundungen ausgezeichnet wurden.
Viele Redebeiträge auf der Bühne am Heinrichplatz bezogen sich u.a. inhaltlich auf die nach Butlers Erklärung entbrannte Debatte um rassistische Tendenzen in der deutschen Schwulen- und Lesbenbewegung und auf die Arbeit der Organisationen für die Rechte und den Schutz von Trans-Menschen. Es kam außerdem zu zahlreichen Solidaritätsaufrufen wie z.B. mit dem „Pride Budapest“.
Die beiden Moderatorinnen der Bühnenshow provozierten einige Déjà-vus. So konnten wir vielleicht noch lachen über die Preisverleihung eines goldenen Stück Scheißes am deutschen trikoloren Band für einen imaginären ehemaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin, der dann in Anlehnung an Butlers Vorlage eine Rede hielt, warum er den Preis nicht annehmen könne und an wen er ihn weiterzureichen gedenke.
Aber nicht alles, was von der Bühne kam, war gut auszuhalten. Wer ein Mikrophon auf einer Bühne in der Hand hält, hat eine gewisse Potenz und trägt eine gewisse Verantwortung. Das haben wir letzte Woche eindrücklich erleben dürfen. Satire, wenn sie gut gemacht ist, Hinweise auf das Geschehen um die Bühne herum, politische Kritik an Äußerungen und Handlungen, Anklagen und Vorwürfe – das alles geht meiner Meinung nach klar und dafür gibt es Bühnen, die sich an eine Öffentlichkeit richten. Jedoch Beschimpfungen von der Bühne herunter gegen Einzelne oder gegen Gruppen, stellen immer nur die Beschimpfenden bloß, sagen nichts über die Beschimpften aus, können immer nur unsachliche Fäkalsprache sein. Selbst wenn ich einen wiederholt übergriffigen und offensichtlich betrunkenen Mann auch konsequent der Veranstaltung verweisen würde, finde ich es schwierig vor einem Publikum von mehreren hundert Menschen auf eine anwesende Einzelperson zu zeigen und zu skandieren: Verpiss dich! Wir wollen dich hier nicht haben. Von der Bühne herunter das auch hier nicht mehr ganz nüchterne Publikum aufzurufen, in eine Situation einzugreifen, in der es um eine Einzelperson geht, halte ich für gefährlich. Derartige Situationen müssen im Vorfeld von den Veranstalter_innen diskutiert und vorbereitet werden. Sich erst von der eingreifenden Polizei zu distanzieren, dann hilflos nach ihr zu rufen und dann ganz im gleichen Wortlaut, den vor einer Woche die kritisierten CSD-Moderatoren vor dem Brandenburger Tor gebrauchten, vor dem offenen Mikrophon zu erklären: „Wir machen einfach weiter im Programm!“ war peinlich und … nun ja … verantwortungslos. Solche Veranstaltungen vorzubereiten und zu moderieren ist schwer, ich weiß!
Um so mehr erfreute und berührte die Courage einer der Kingz of Berlin, die seit Stunden auf ihren Auftritt gewartet hatten und etliche Verzögerungen über sich ergehen ließen, bevor sie endlich die Bühne betreten konnten. Hier wurde einmal das eigene Unwohlsein über den Umgang mit der Situation hinter der Bühne spontan formuliert. Hier wurde einmal gezeigt, dass es möglich ist, als Teil einer Gruppe mit verschiedenen politischen und künstlerischen Aussagen, unter dem Druck eines größeren Ablauf- und Zeitplanes einen klaren Kopf zu behalten, dem eigenen Gefühl und Verstand zu vertrauen und mit dem Mikrophon in der Hand STOP zu sagen: Lasst uns kurz darüber nachdenken, was wir jetzt machen wollen! Habt ihr im Hinterkopf, dass es gerade eine seltsame Situation gibt? Wollt ihr zu diesem Zeitpunkt unseren spaßigen Bühnenbeitrag? Machen wir einfach weiter im Programm? Im Gesichtsausdruck und nur für die ersten Reihen erkennbar stand noch etwas anderes: Seht ihr die Parallelen?
Die schöne Bühnenshow der Kingz ließ sich durch dieses Infragestellen überhaupt erst ansehen.
Da hat einmal mehr jemand Verantwortung übernommen und eine eigene Verbindung zu den Forderungen und Themen des TCSD hergestellt, ohne zu beschimpfen, ohne mit dem Finger zu zeigen, mit ein paar einfachen Fragen. Für mich war das der berührendste Augenblick an diesem Abend.
im garten mit satie - 27. Jun, 15:50
merci
zum thema kingz-abbruch und "wir machen weiter im programm" eine klarifizierung: ich glaub bei den kingz funktionierte zunächst die cd nicht, deswegen sind sie wieder von der bühne, und das "wir machen einfach weiter im programm" war eine reaktion darauf. die parallelen zu der unsäglichen abmoderation von judith butler die woche zuvor sind glaube ich daher nicht wirklich da gewesen...
wobei ich die moderation auch nicht immer gelungen fand, muss ich auch sagen - die nummer mit der deutschland- und der regenbogenfahne am ende haben sie z.b. gar nicht verstanden - die fahnenfans fielen tot um, und dann sagt gloria nur: naja, so fahnen auf der bühne finden wir ja scheisse. - ach so.
aber so viel auch dazu, alles mitzukriegen, was auf oder um die bühen rum passiert. ist halt schwer...
dass die cd nicht funktionierte, weil es eine mit mp3 bestückte war und der cd-player der technik die nicht lesen konnte, ist mir durchaus bekannt, auch dass es dann über handy versucht wurde, was funktionierte.
dass dann die zweite verzögerung des auftrittes aber unmittelbar mit der aufregung hinter der bühne zu tun hatte und wie schon beschrieben, es bei den kingz ein problem gab mit "the show must go on", das hatte mich nachdenklich gemacht und berührt. das wollte ich zum ausdruck bringen.
sicher kann niemand alles mitkriegen, was um eine kleine bühne herum an einem solchen tag passiert, aber genau deshalb sollte es eine gut abgestimmte aufgabenverteilung geben mit fitten leuten, die sich zuerst untereinander informieren, und die sich vielleicht schon länger als zwei tage damit auseinandergesetzt haben, was es für eventualitäten bei einer solchen veranstaltung geben kann.
es tut mir leid, wenn das an dieser stelle nicht ganz nachvollziehbar klingt, ich kann hier nur versprechen, dass ich viele erfahrungen mit veranstaltungen machen durfte, die für einige wenige eine große zumutung waren, sei es für menschen an der tontechnik, sei es für die helfer_innen beim bühnen auf- und abbau oder auch bei den bands und zwar wegen zu kurzsichtiger planung und zu wenig gedanken um die organisation und absicherung einer politischen veranstaltung. das hat ein wenig den blick geschärft für das, was um so eine bühne, wie die vor dem SO36 herum geschieht. selbst war ich auch bis spät in die nacht hinein immer mal wieder hinter der bühne und hab mit anderen acht auf diesen typen gegeben, damit er, vollgedröhnt wie er war, keinen weiteren schaden anrichtet.
auch hier halte ich einen austausch mit den mitwirkenden für sinnvoll, um es einfach für alle angenehmer zu machen, die daran mitarbeiten und die zu entlasten, an denen strukturbedingt am meisten arbeit kleben bleibt. damit sie im nächsten jahr auch noch die kraft finden, den TCSD zu unterstützen, künstlerisch, technisch, organisatorisch...
ich finde es auch wichtig, einmal über die auftritts- und arbeitsbedingungen nachzudenken, denen sich viele menschen aus solidarität dort aussetzen!
es gibt unkommerzielle politische veranstaltungen, wo das richtig gut funktioniert. das ist auch hier zu schaffen, denke ich.