bewegendes
bis zum hals klopft das herz
wahrscheinlich vom zu starken kaffee
wahrscheinlich von zu wenig schlaf
oder von der anbrechenden ungewissheit, die sich immer sofort einzustellen scheint
oder von den freigelassenen träumen, die gegen die brust flattern.
diesmal keine projektionen, nur die gewissheit, dass es sich sehr gut anfühlt, ganz konkret im kontakt,
keine versprechungen, nur der moment, der mich mitreißt.
ich bin drinnen in meiner seifenblase und träume vom aufhalten unserer arme -
draußen kettet ihr euch an die schienen, eingelassen in betonblöcke, frierend den polizeiknüppeln ausgesetzt, dem sturm trotzend kämpft ihr um das aufhalten eines transportes. ich kenne einige von euch und hoffe, ihr kommt gut da durch und bleibt stark. und bis zum hals klopft mein herz auch für euch. danke, dass ihr da seid.
füße leicht versetzt zu folgend
an den hüften eng
an den armen weit
spannung!
nicht am arm von folgend zerren
hand unter schulterblatt
nicht zu besitzergreifend
halbe rechtsdrehung vorwärts auf rechts
halbe rechtsdrehung rückwärts auf links
übergang vorwärts auf rechts
halbe linksdrehung vorwärts auf links
halbe linksdrehung rückwärts auf rechts
übergang vorwärts auf links
auf eins runter
auf drei schließend hoch,
aber nicht zu hoch
und vor allem: gemeinsam
als der ball begann und die paare aufs parkett stürmten, schleppte ich mich zur tür und ging nach hause.
vielleicht nächstes mal.
He, ihr da draußen in der Kälte, wenn ihr einen Moment Zeit findet, dann hebt ihn auf und lest die Zeitung vom nächsten Donnerstag!
Am Donnerstagmorgen wird in den Berliner Zeitungen gestanden haben:
Rätselhafte Zeitverschiebung bringt das Alexa in der Mitte Berlins zum Tanzen.
Aus bisher ungeklärter Ursache löste eine seltsame Schwingung in den Drähten der Weltzeituhr am Alexanderplatz am frühen Mittwochabend eine fünfstündige Zeitverschiebung aller Uhren im Umkreis von vier Oktavsprüngen und drei Rumbaschritten aus.
Augenzeugen berichteten:
Mit Einbruch der Dämmerung leerte sich plötzlich das riesige Einkaufszentrum, obwohl es in London (laut Weltzeituhr und Big Ben) noch 16 Uhr war. Die Kundschaft des Alexa strömte kopfschüttelnd in die U- und S-Bahnen, sie hätten alle längst zu Hause sein können bei ihren Familien, Freundschaften und Haustieren, in ihren Sport- oder Proberäumen, im Kino, im Café, im Chorkonzert, im Zug, der sie in den Urlaub fuhr, in den Armen ihrer liebsten Menschen oder am gemeinsamen Abendbrotstisch derselben, auf der Couch mit einem schönen Buch oder unter einem Herbstbaum. Nun beeilten sie sich, dort hin zu kommen…
Die Uhren zeigten seit einer halben Stunde den Feierabend für die Belegschaft des Alexa an, ohne dass es jemand bemerkt hatte. Nur zwei Tänzerinnen, die sich dort eingefunden hatten, wunderten sich nicht, sie hatten schon etwas Derartiges geahnt und vorsorglich ihre Positionen eingenommen… Als es im Alexa dunkel wurde, weil der Wachschutz (nachdem die letzte Kundin mit ihrem Kunden verschwunden war) die Beleuchtung ausgeschaltet hatte und nur noch ein kleines romantisches Glitzern von der sich wild drehenden Diskokugel des Fernsehturms und der Strahl einer alten aus Urzeiten hinterbliebenen roten Laterne durch ein Fenster fiel, schwebten plötzlich zwei akustische Gestalten die Rolltreppen hinunter. Es war so still und leer im Alexa, dass der Aufprall der Perlen, die sie vor die Einkaufsregale warfen, in vielfältigen Echos von den Wänden widerhallten.
Eine wunderschöne gefühlvolle Stimme, die sich erst leise und dann kraftvoll auf die hüpfenden Echoperlen legte, war plötzlich aus allen Lautsprechern deutlich zu vernehmen. Sie galt den Ladys, die unerwartet inmitten einer privaten Sphäre und eines geräumigen Parkettes standen und mit ihren Bewegungen begannen. Die hüpfenden Perlen und die schöne Stimme waren nun von ihren Rolltreppen herab gestiegen und hatten auf dem Tresen einer stillstehenden Kasse Platz genommen, um besser sehen zu können, mit welchem Zauber sich das Alexa gleich füllen würde.
Die Ladys begannen, schritten hierhin und dorthin und dorthin und hierhin, wirbelten am Rande des Parkettes zwischen den staunenden Regalen umher (denn sie liebten die Herausforderung) und machten allerlei gute Figuren, hielten sich bei den Händen und an den Schultern, rutschten ein bisschen auf ein paar unrhythmischen Perlen aus und fingen sich dann wieder gegenseitig auf. Sie kamen gar nicht außer Puste und wollten immerzu neue Sachen ausprobieren. Da schnallte sich die schöne Stimme Schlittschuhe unter die Füße, die sie in weiten Schwingungsbögen kraftvoll durch das Alexa trugen. Der Inhaber dieser Stimme glitt nur so dahin und seine Schlittschuhe hatten große Lust schneller zu werden. Er drehte sich und drehte sich und sang dabei überrascht: Dit is ja the story of my life, die Schlittschuhe drehten sich mit ihm und trugen ihn immer schneller um die Ladys herum, die derweil überlegten, ob sie einen Taktwechsel wagen sollten. Die ganze Combo ließ sich nach reichlich Umdrehungen fallen und stellte fest, dass sich nun das Alexa um sich selbst drehte, sie hatten es zum tanzen gebracht. Die Schuhe kippten mit den Latschen aus den Regalen und stolperten lustig in ihrem eigenen Rhythmus um die Abteilung mit den CD-Playern herum, besonders der Player mit der Klaviermelodei eiei ei war schwer zu synchronisieren, weil einfach nicht vorher zu ahnen war, wann der Takt mit der ei ns kam, aber was machte das schon an einem so schönen day in the life of a fool…
… sagten sich auch die Leute, die am Donnerstagmorgen die Zeitung aufgeschlagen hatten, um sich zu erkundigen, was ihnen da am Mittwochabend die fünf arbeitsfreien Stunden beschert hatte…
mittags, auf dem weg zum buchladen, bin ich beinahe gestürzt - über den schatten eines am himmel fliegenden vogels. zeit den blick wieder zu heben, oder mir das höhlengleichnis erklären zu lassen?
„Verlassen sind wir doch wie verirrte Kinder im Walde, wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von meinen Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen? Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüßtest du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen vor einander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.“
Franz Kafka in einem Brief an Oskar Pollak
kann dieses hier lächelnd und erwärmt zitieren mit dem Gedanken an einen Punkt des Erkennens.
eingeschlummert, aufgeschreckt, ein servus am apparat, irgendwie fröhlich. er sei gerade angekommen aus der stadt, in der es fast 20 grad wärmer ist als hier und die im moment einen fön hat. er hat mir etwas mitgebracht aus der schule, in der er zur zeit baut. der hausmeister hätte es ihm gegeben. es ist ein stück holz von einer flügelklappe, schon zerschlissen und abgegriffen, die klaviatur war auch noch da, aber so verdellt und kaputt, sonst wäre sie mitgekommen auf die reise, moment - er geht in die garage und sucht nach licht, öffnet seinen kofferraum, es hätte leider nicht ganz herein gepaßt, das teil, da hat der hausmeister ein stück abgesägt. die schrift ist noch ein wenig zu erkennen, er buchstabiert, am deutlichsten sei: in wien. da hat er an mich denken müssen und es mitgenommen, weil ich doch sooft daran denke. er hat meine grüße erhalten.
Tango hörend versuche ich mich an das überwältigende Gefühl zu erinnern, das vor einigen Tagen in einem großen leeren Saal von nahezu barock anmutender Üppigkeit, vermutlich eher Jugendstil, zuerst durch meine Ohren meiner sich bemächtigte.
Da war diese Musik, eine Mischung aus Orange und Rot, Schwarzblau und wieder Rot. Feuer, Sehnsucht, Temperament und etwas Schmerzhaftes, mit einem Gesang, der mich in meinem Innersten packte. Sie war ergreifend laut und erfüllte den Raum, durch den Menschen zielstrebig kreuzten, um die letzten Besorgungen für das bevorstehende Fest zu erledigen. Kein besonderes Licht erhellte das Parkett, sodass ich erneut zuerst hörend wahrnahm, dass getanzt wurde. Geräusche leichten Stoffraschelns und rhythmischer Schritte bahnten sich ihren Weg durch die Musik.
Erst jetzt sah ich drei konzentrierte Frauen, die sich zueinander in Beziehung setzten. Ihre Bewegungen waren von gespannter Eleganz und Sinnlichkeit. Androgyn verführerisch, zerbrechlich und zugleich herausfordernd entschlossen. Aufflackern. Ein Ausdruck von Zärtlichkeit im Halten und Getragenwerden wirkte äußerst fesselnd. Anfangs wollte auch ich den Saal zügig durchqueren, aber in seiner Mitte angelangt, vergaß ich mein Ziel. Ich konnte meine Augen nicht mehr von diesen dreien nehmen, die sich abwechselnd umwarben und zurückwiesen, noch einmal neu ansetzten, berührten, vertrauten, ihren Abstand haltend und aufgebend eine Geschichte erzählten. Die Lichttechnikerin im oberen Rang, die noch immer vergessen hatte die Beleuchtung einzuschalten, oder es nicht mehr wagte, schaute ebenso gebannt auf diese Szene wie der Tontechniker aus seiner hintersten Ecke, der wohl in diesen Minuten Pause hatte. Alle Umstehenden waren anscheinend in einen Dornröschenschlaf gefallen, ihre Gesichter auf die Tanzfläche gerichtet, den Atem angehalten, als lauschten sie einem Geheimnis oder beobachteten ein seltenes Naturschauspiel von der Dimension einer Sonnenfinsternis. Ergriffenheit, Staunen und… Lächeln.
Trotz der Lautstärke im Raum hatte diese Darstellung etwas traumhaft Leises, vielleicht weil viele der Bewegungen ins Dunkel des Saales entschwanden. Als die Scheinwerfer eingeschaltet wurden, fand man mich auf die Knie gesunken, mit Tränen in den Augen und führte mich hinaus.
Bewegung, Wiegen, Tanzen, nach dieser Musik so tanzen. Im Vorbeigehen darauf nicht vorbereit, erkannte ich das Naheliegendste. Und doch ist es manchmal das Unerreichbarste. Wie schmerzlich, die innere Starre nur beim Musizieren abstreifen zu können, wie lindernd, für Minuten wenigstens das zu können. Wie schön, wenn der Panzer von den Schultern platzt, brüchig geworden von der Berührung mit endlich mal wieder echter Kunst mit echtem Ausdruck, dem Schönsten an diesem Abend.