Mittwoch, 15. Oktober 2008

melodie zum text

maronibrater


Welch ein Luxus, den Tag ausklingen lassen zu können in einem Zimmer für sich allein im Balkanhotel, zwischen den Flüssen Sava und Donau. Diesmal hatten wir zwei Tage Zeit. Vor einem Jahr waren es noch Saône und Rhône. Mein Denken wurde damals von dem unbändigen Wunsch beherrscht, aus dem Zimmer zu verschwinden, in dem wir alle vier die Nacht verbracht hatten, um in der einzigen noch verbleibenden Stunde in dieser schönen Stadt zu erfahren, wie man in ihren Traboules verloren gehen kann.
Schon im Flugzeug bekamen wir zu spüren, daß uns das Institut, das uns eingeladen hatte, verwöhnen würde. Der Aufenthalt in Wien reichte gerade dafür aus, sich nicht für die teure Literaturzeitschrift zu entscheiden, in der das Buch über den Briefwechsel von I.B. und P.C. besprochen wurde, sondern später lieber das Buch selbst zu erstehen. Der Betonung der Ansagen zu lauschen war schön, selbst im Englischen meinte ich etwas Wienerisches zu erkennen. Hoffentlich dauert es nicht all zu lang bis ich das nächste Mal in diese Stadt treten kann mit etwas Zeit im Koffer. Dann wohl eher über den Westbahnhof als über einen Airport.

Kurz vor der Landung in Beograd sahen wir viele kleine Häuser und Hausboote im Fluss, in dem die Nachmittagssonne blinkte, einige davon waren Restaurants und Veranstaltungsorte, wie wir später erfahren sollten. Es dauerte eine Weile bis wir abgeholt wurden und so hatten wir Gelegenheit, uns vor dem Flughafen ein Plätzchen in der Sonne auf einem schmalen Wiesenhang zu suchen und das Treiben der Ankunft und des Abschieds zu beobachten. Es roch nach Herbst und Laub und Feuer. Unsere Instrumente standen deutlich vor uns aufgebaut, um unseren fremden Begleiter zu uns zu führen. Wir hielten Ausschau nach einem, der wie ein Suchender aussah. Hin und wieder traten Männer an uns heran, die diskret fragten, ob wir ein Taxi benötigten. Auffallend war die Verschiedenheit ihrer Taxis. Vor dem Gebäude standen Wagen diverser Fabrikate, Größen und Farben, ältere und neuere. Selbst die auf den Dächern montierten Taxischilder variierten in Größe und Form.
Die ankommenden Damen hatten nicht selten einen üppigen Blumenstrauß in der Hand und wurden meist von vielen erfreuten Menschen herzlich begrüßt. Das kam mir vertraut vor, aber die Normalität dieser Beobachtung liegt weit zurück…
Inzwischen war ein eierschalenfarbiges Taxi vorbei an allen anderen gefahren, positionierte sich ganz vorne in der Reihe, der auf Fahrgäste wartenden Männer und ließ Reisende einsteigen. Wie würden die länger Wartenden reagieren? Darauf war ich wirklich gespannt. Der Fahrer des dunkelgrünen Mercedes, der direkt hinter dem soeben angekommenen Taxi stand, stieg aus, montierte zügig sein Taxischild ab, legte es in den Kofferraum und fuhr ohne weiteres Aufsehen vom Platz. Die anderen Fahrer wirkten gelassen.

Hinter uns sprang unterdessen eine graugetigerte Katze wie ein Hase die Böschung hinauf.

Unser Begleiter traf ein, entschuldigte sich für die Verspätung und manövrierte uns die 15 Kilometer bis zur Innenstadt durch den dichten Verkehr. Während der Fahrt erzählte er uns ein wenig über seine Stadt und die Veränderungen, die sie und ihre Menschen wandelten. Von den Feldern neben der Stadtautobahn sah ich Rauchsäulen aufsteigen, daher der Herbstgeruch in der Luft, den ich später noch in der Innenstadt zu spüren meinte und irrtümlicher Weise darauf zurück führte. Wir sahen Ikarusbusse, Tatrastraßenbahnen, Trolleybusse und ein Gebäude mit bizarrer Silhouette, das „Zepter“, das zur Hälfte Wohnhaus und zur Hälfte Aussichtsturm ist. Vor Jahren drehte sich im Turm ein Café um die eigene Achse, hatten sie die Dinger damals in Serie gebaut? Ich hatte gehofft, an die Kindheit erinnert zu werden, es funktionierte. Ich freute mich über das Kyrillische. Unser Fahrer beantwortete uns viele der Fragen, die wir noch gar nicht zu stellen gewagt hatten. Er gab uns den Rat, beim Überqueren der Straße wirklich vorsichtig zu sein. Ihm würde eine Metro fehlen und die steigende Rücksichtslosigkeit zu schaffen machen, auch die vielen Autos und der Bauboom, alle wollten in diese Stadt. Belgrad hat wohl an die 2 Mio Einwohner und bestand aus einem neueren, in den 1960er Jahren erbauten Teil und der Altstadt.
Was wir sahen in der wahrlich kurzen Zeit war sehr urban, lebendig, kontrastreich. Neben monumental wuchtigen Ostbauten fanden sich mit mediterraner Patina überzogene palastartige Häuser, alte Kreditinstitute, Parks, zahlreiche Brücken, Universitätsgebäude, prunkvolle Kirchen, Märkte, eingerüstete Wohnhäuser und einige wenige unglückselige Betonbauten, denen ihr Inneres fehlte, das herausgerissen war, klaffend und verbrannt. Eher noch Wunden als schon Narben. In welchen Teil der Stadt er uns brächte, fragte ich. In den modernen, gleich neben der großen Fußgängerzone mit den Hotels, antwortete er. Schade, dachte ich.

Die Menschen, die uns begegneten am Abend, in der Straße, deren Häuser an ein schlafendes Ostseebad erinnerten, gingen ihren Geschäften nach oder packten langsam ihre Sachen zusammen, die sie an einem langen Tag zu verkaufen versucht hatten. P., die vor einer Woche bereits in Belgrad zu tun hatte, war schon ein wenig ortskundig und führte uns in der einsetzenden Dämmerung in den schönen Park Kalemegdan über der Stadt zwischen den Flüssen. Viele Menschen saßen auf den Wiesen und genossen den Weitblick. Etwas Vertrautes war in der Luft, oder nur in meinem Kopf, nicht klar zu fassen, aber angenehm. Ich dachte an Dresden. Die Fledermäuse flatterten auffallend langsam und dicht an uns vorüber. Ich fand, es roch hier nach Frühling, die anderen meinten, es wäre der Herbst, den es bei uns fast nicht mehr gibt, weil nach dem Sommer gleich der Winter käme. Wahrscheinlich war es das schwindende Abendlicht in Verbindung mit der Wärme. Es war so mild, daß wir es vorzogen draußen an einem Tisch bei einem serbischen Bier unser Abendbrot zu essen. Auf der anderen Straßenseite stand ein altes Haus, das verwunschen wirkte. Die obersten kleinen Dachfenster waren von einem schwachen Leuchten erhellt. Man sah, daß es sehr dicke Mauern haben mußte, in denen anscheinend noch jemand wohnte. Etwas erinnerte mich an den Charme von Wien, waren es die Stadt, ihre Menschen, oder der Pianist in einem Kaffeehaus?
Wir hatten endlich einmal Zeit, denn das Konzert würde erst am nächsten Tag stattfinden. Zeit, um zu reden, zu schauen, einmal nicht derart zu hetzen und sich gegenseitig zu stressen. Zeit, um zu fragen, Zeit zuzuhören. So war es auch nicht verwunderlich, daß wir nach immerhin nun schon 7 Jahren, in denen wir hin und wieder gemeinsam unterwegs sind, eines der schönsten und intensivsten Gespräche zu viert an diesem Abend hatten. Und so war es auch weiterhin nicht verwunderlich, daß wir am nächsten Abend, eines der interessantesten, vorsichtigsten und Aufschluß gebendsten Gespräche mit den Menschen hatten, die uns eingeladen haben. Was wir alles nicht wissen über Serbien, Bosnien, Slowenien, Kroatien, Jugoslawien, K&K-Monarchie, Österreich-Ungarn, Österreich, Ungarn, Deutschland, die Geschichte, was war, was ist und was wird. Kaum zu ermessen all das. Es gibt viel zu ergründen und es fällt um Vieles leichter, wenn es Menschen gibt, die sich dazu in Bezug setzen lassen. Wir würden gerne wieder kommen. Wir sind uns der Privilegien bewußt, die wir dieses Mal genossen haben. Wir. Dieses Wir gibt es selten. Die Verwirrung über diese Reisen auszuhalten ist anstrengend, besonders, wenn es nicht nur räumliche sind. Die Identitätswechsel auszuhalten auch. Sich souverän an Orten zu bewegen, mit denen man nicht kompatibel zu sein scheint, erfordert entweder gründliches Selbstvergessen oder große Stabilität und Offenheit. Es ist schwer, die Unselbständigkeit auf diesen Reisen zu überwinden, Ausbrüche gelingen nur für Minuten oder kurze Stunden.
Manchmal kommt man den Menschen nahe in der Zusammenarbeit am Projekt, für das man eingeladen wurde, in der Bewältigung von sich ergebenden Problemen unter Zeitdruck, beim Improvisieren und in der Verunsicherung. Was wir zu geben hatten, fühlte sich ein bisschen ernster an als sonst, irgendwie wichtiger, ein interessantes Gefühl, das wir den Menschen dort verdankten und dem Kontext der Einladung.
Eines noch ging mir im Kopf herum: In der Bar bei einem dieser guten Gespräche spielten sie immer wieder dieses Lied, dessen Text ich in letzter Zeit so oft gelesen hatte, abgesehen davon, daß es mir die Momente intensiven Nachdenkens ins Gedächtnis rief und eine Anwesenheit von Abwesenden, ich spürte, daß ich ihn nicht in seiner ganzen Dimension erfasst hatte. "Why"
Wie den Text eines Liedes verstehen, ohne die Melodie und den Gesang dazu zu hören?

Dienstag, 7. Oktober 2008

über wien

wir fliegen über wien, über w i e n!!! hab ich vorhin erfahren. ich freu mich. in 12 stunden bin ich da. ganz kurz, weniger als anderthalb stunden aufenthalt in vienna international. zeit genug, um meine grüße in alle vier himmelsrichtungen zu rufen: an zwei sehr gute freundinnen, meinen onkel, die gewisse real existierende und literarische gasse meiner sehnsucht und an eine wunderbar berührend schreibende s. , deren virtueller nachbarschaft ich mich (unter anderen mir sehr wichtigen gefährten) erfreue.

am nachmittag dann beograd, wo p. uns erwartet, wie das wohl wird? ich bin aufgeregt...
jetzt schnell schlafen

Sonntag, 5. Oktober 2008

wenn

es zeitreisen gäbe, wenn ich die wahl hätte morgen aufzuwachen und es wäre vor genau einem jahr, würde ich wählen, für eine stunde das zu fühlen, was ich nie gefühlt habe, außer in dieser stunde, in dieser unfassbaren nacht, der ein so tiefer sturz folgte? der soviele neue entdeckungen und erforschungen folgten, verstehen wollen und an die eigene beschränktheit stoßen, sprache erfassen, puzzle zusammensetzen, fragen,schmerz, schmerz, schmerz, freude, tasten,alleine suchend, erkenntnisse, neue fragen... niemals antworten, nicht von dort, nur im kopf und in büchern, auch von freunden (danke dafür), erinnerungen, schöne, nur schöne, alles verletzende verdrängend, bilder, töne, diese stimme, das zärtliche in der stimme und den worten...
ist meine seele immer noch blind, wie du es glaubst? was für ein giftiger pfeil, war sie es denn je? angst kommt von enge, das zumindest habe ich begriffen. ich würde so gerne noch einmal bei dir sein und zuhören,reden, zuhören,reden... weißt du, wie bei einer fuge,oder zusammen singen, oder den kronleuchter in dem großen haus dimmen, mitten in der nacht, während du unter dem flügel, auf dem ich nach klängen für dich suche, liegst und leise weinst. wenn es zeitreisen gäbe, sie würden wohl nichts ändern, ich glaube, ich bliebe hier und hielte die dinge im herzen, die ich gelernt habe, statt deiner im arm...

Donnerstag, 2. Oktober 2008

intuition

What gives what helps the intuition?
I know I’ll know
I won’t have to be shown
The way home
And it’s not about a boy
Although although

They can lead you
Break or defeat you

A destination known
Only by the one
Whose fate is overgrown
Piecemeal can break your home in half
A love is not complete with only heat

And they can tease you
Break or complete you

And it came a heat wave
A merciful save
You choose you chose
Poetry over prose
A map is more unreal than where you’ve been
Or how you feel
A map is more unreal than where you’ve been
Or how you feel
And it’s impossible to tell
How important someone was
And what you might have missed out on
And how he might have changed it all
And how you might have changed it all for him
And how he might have changed it all
And how you might have changed it all for him

Did I, did I
Did I, did I
Did I, did I
Did I, did I
Did I did I miss out on you?

leslie feist

Montag, 29. September 2008

sonnenzimmer ... zimmersonnen

zimmersonne

Freitag, 26. September 2008

gedankenlabyrinth am ende eines frühherbsttages II.

Mein Vater hat mich nichts gelehrt. Nicht einmal seine Sprache. Von ihm kann ich sie nun nicht mehr lernen, dazu ist es zu spät. Kann man eine Sprache wirklich lernen, wenn es an Zuneigung fehlt? Ich hätte von ihm lernen können, niemals Menschen zu glauben, die Versprechungen machen, auch das habe ich bis heute nicht gelernt. Es gab da in meiner Kindheit eine Grenze, nur von seiner Seite aus zu überwinden, wie praktisch für ihn. Als sie fort war und ich das erste Mal orientierungslos und naiv zusammen mit meiner Mutter herüber tappte, voller Erwartungen und angestauter Sehnsüchte, war da niemand, der uns empfing. Italien war wohl schön, wenn man die Schmerzen des immer wieder an eine neue unvermutete Wand Laufens davon abzog, aber es war für mich von Anfang an von einer großen, alles einfärbenden Abwesenheit geprägt. Eines Tages werde ich dir und deiner Mutter die Brücken und Palazzi von Venedig zeigen, mein Kind – wie die letzten Zeilen eines alten Märchens aus einem meiner dicken Bücher klang das. Von einem Traum nicht zu unterscheiden, für den es kaum einen Schlupfwinkel gab zwischen den hellhörigen Wänden des zehngeschossigen Hauses. Eines Tages… kam nicht. Jedenfalls nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte, die einzige Woche, die wir, inzwischen zwei Fremde, je zusammen in Italien verbracht hatten, endete mit einem riesigen Fiasko. Sein machistisches Verhalten, oder was ich dafür hielt, wurde mir unerträglich und verstellte mir jeden Blick auf bereichernde Überraschungen. Es war eine sehr angespannte Zeit voller Missverständnisse. Er hatte sich diese Begegnung sicher auch anders gedacht. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte all die Schönheit und Besonderheiten dieses Landes unbefangen entdecken können, es Teil von mir werden lassen können wie ein Buch, das einem viel bedeutet, weil man Schätze darin fand, auf die man durch eigene Intuition gelenkt wurde. Vielleicht ist es noch nicht zu spät dafür.

Vor drei Jahren, als ich ihn das letzte Mal sprach am Telefon, nach über acht Jahren, regnete und stürmte es vor dem kleinen Haus der italienischen Freunde, die mir für wenige Stunden ein Zuhause gaben, das mir so gut tat und das ich mir seit Jahren, ohne es mir bewusst gemacht zu haben auch in den Bergen Venetos gewünscht hätte. Damals nun war ich in der Nähe des Lago di Como in liebevoller Umgebung. Drinnen im Haus war es ganz ruhig, warm und trocken, von ferne hörte man Donnern. Spätsommerabend - Früherbstdonnern. A. war das fast unmögliche gelungen, eine telefonische Verbindung zur Intensivstation des Zentralkrankenhauses in Padua herzustellen. Allein hätte ich das niemals geschafft, ohne sein Italienisch, denn mit Englisch war dort kein fortkommen. Mein Vater am anderen Ende der verrauschten Leitung sprach mit schwacher Stimme deutsch mit mir, er nahm mich mit freundlich klingenden Worten als sein Kind zur Kenntnis. Nein, ich solle ihn nicht besuchen, es wird ihm bald besser gehen nach einer kleinen Operation, dann würde er sich bei mir melden, versprach er, ob ich ihn zu Hause in seinen Bergen versucht hatte zu besuchen. Ja, das hatte ich zwei Tage vorher, zusammen mit F. Wir fanden auch jemanden – seine Frau, die mir auf Italienisch sagte, er wäre im ospedale im Tal in der nächstgrößeren Stadt B. und sie würde ihm NICHT sagen, dass ich da war, damit er sich nicht aufregen würde und ich bräuchte nicht zu versuchen hier anzurufen, telèfono è morto, das Telefon sei tot. Das letztere unterstrich sie mit einer eindeutigen Geste. Sie gab mir auch nicht die Adresse des Krankenhauses, damit es mir unmöglich wurde, ihn zu besuchen. Noch heute frage ich mich, wie es mir ohne Übersetzung gelang, sie zu verstehen. Doch eigentlich verstand sich alles von selbst, ihre Gesten und ihr Gesichtsausdruck waren sehr deutlich. Ich brauchte nur eine Weile, bis diese Härte zu mir durchdrang, denn trotz aller Schwierigkeiten, eigentlich hatte ich damit nicht gerechnet. Zum Glück war F. bei mir, die mich in den Arm nahm und es sogar schaffte, einen Blumenstrauß auf der Bergwiese zu pflücken und ihn der Frau an die Türklinke zu binden als Zeichen guter Absichten, oder als Zeichen von Sprachlosigkeit… Am Telefon von all diesem zu sprechen ersparte ich ihm und mir, auch, was es mir bedeutet hatte, diese Reise zu unternehmen.

F. und ich hatten damals unser weniges Geld zusammengekratzt und sind mit ihrem alten Passat eine Woche unterwegs gewesen, nur mit meinen schemenhaften Erinnerungen und alten Adressen ausgestattet, wagen Anhaltspunkten, denn ich war nur ein Mal dort gewesen. Wir fanden sein Haus mit Hilfe alter Fotos, F.s unerschrockener Fahrweise und herzlicher Unterstützung der Nachbarn, unsere Sprache - unsere Hände und Füße, Bleistiftskizzen und dankendes Lächeln. Ein alter Mann fällt mir ein, der plötzlich aus dem Nebel des kleinen Bergweges auftauchte. Wir stoppten und nachdem ich ihm Guten Tag gewünscht hatte, hielt ich ihm einen Zettel mit einer Adresse hin: „Dove?“ Er schlug mindestens fünf Minuten auf die ohnehin schon verbeulte Motorhaube des Fahrzeugs ein, das in diesen Tagen auch unser Schlafplatz war, bis wir begriffen, dass seine Worte: „pompa della benzina“ und seine ausladenenden Gesten bedeuten könnten, dass wir an der kleinen Tankstelle, an der Benzinpumpe im Dorf abbiegen müssten. Neben der Tankstelle, die tatsächlich nur aus einer Zapfsäule bestand, aber der Mittelpunkt des Dorflebens zu sein schien, tranken wir in der kleinen „Albergo“ – Herberge einen Espresso und lernten einen Nachbarn meines Vaters kennen, der uns in seinem Auto voranfahrend bis vor die gesuchte Haustür führte. Welche Freude als wir endlich angekommen waren, ich war sehr glücklich über solch herzliche Hilfsbereitschaft dieser fremden Menschen. Um so mehr schockierte und enttäuschte mich die kalte Zurückweisung der mir bekannten Frau. Ich durfte meine Geschenke da lassen (es war Musik) und ein Foto, das acht Jahre zuvor aufgenommen wurde und meine Italienische Oma mit mir zeigte. Die Frau machte mir begreiflich, dass: la Nonna letztes Jahr gestorben sei. Ich durfte außerdem einen kurzen Brief schreiben im Vorraum des Hauses, auf dem ich meine Adresse und Telefonnummer hinterließ. Ein Jahr später erfuhr ich, dass sie ihm all das nie gegeben hat und wäre das Telefonat nicht zustande gekommen, hätte mein Vater nie erfahren, dass ich ihn gesucht habe. Ich weiß nicht was in ihr vorging, wovor sie Angst hatte. Ich kann es nur ahnen. Die Angst konnte ich ihr nicht nehmen, wie auch, ohne Sprache? Meine Absicht war es, Dinge zu verstehen, Frieden zu schließen mit einem Vater, den ich kaum gekannt hatte, der sich aber in meinen Augen sehr unverständlich und verletzend benommen hatte, auch wenn die politischen Umstände nicht gerade einfach waren. Ich hoffte, er würde es mir erklären können und wollen. Was ich zumindest verstanden zu haben glaube, ist, dass es in Italien üblich ist, zu erwarten, dass die Kinder nach ihren Eltern fragen, sich um sie bemühen, den ersten Schritt tun, auch wenn sie Jahre lang, als sie noch wirkliche Kinder waren, die Zuwendung und das Interesse der anderen Seite entbehrt haben. Eine Hälfte der anderen Seite zum Glück nur! Vielleicht habe ich das auch falsch verstanden, denn es erscheint mir geradezu zynisch. Wahrscheinlich ist eine Verallgemeinerung sehr fehl am Platz. Vielleicht ist es ein großes Glück, einmal etwas richtig zu verstehen. Auf der Straße beim Abwärtsfahren fiel mir der alte verwitterte Tabakweg ein, der sich am Fuße der 2. Serpentinenkurve mit insgesamt 4444 Stufen bis nach Venedig schlängeln soll, laut meines Vaters. Vor Jahren, als er mich darauf aufmerksam machen wollte, war ich nicht offen dafür und ignorant, zu fremd mir seine Art nur von Historie und nie von uns zu reden. Nur zu reden und nicht zuzuhören. Nun fehlten mir die Erklärungen, das warum, wohin und woher. Aber es war in diesen Minuten schon Halt gebend, es jemandem zeigen zu können und sich wieder zu erinnern, auch wenn es nur daran war, dass ich vieles nicht wusste, und es hätte vielleicht abwenden können, wäre damals heute gewesen. Wir parkten das Auto und machten einen Spaziergang entlang des alten Weges, der von sehr hohen dunklen Felsen umragt war. Dort war es still und es duftete sehr intensiv nach Pfirsich. Eine Art Löwenmäulchen war die Ursache dafür. Manche Stufen waren fast 3 Meter hoch und von einer uralten Vegetation überwachsen. Ich fand einen sehr imposanten bunten Stein und nahm ihn mit. Irgendwann werde ich diesen verwunschenen schönen Ort noch einmal besuchen, vielleicht zusammen mit meiner Mutter.

Diese Gedanken, nicht mitteilbar in diesem Moment des Telefonates, die Kluft nicht zu überbrücken, so vieles, was wir von einander nicht wussten, wir hatten uns keinen Weg zueinander gebaut. Ich weiß nicht einmal, ob wir es gekonnt hätten, wären es mehr oder weniger als 4444 Stufen geworden? Stolz, Politik, Vorurteile und Angst waren zu groß. Noch größer aber war meine Angst vor der endgültigen Feststellung: Zu spät. Sie hatte auch bewirkt, der Intuition zu folgen und diese Reise zu diesem Zeitpunkt zu tun.

Es war wie ein Wunder nach all den Jahren seine Stimme noch einmal zu hören, er war am Tag zuvor noch von dem einem ins nächste Krankenhaus verlegt worden. Ohne die Hilfe meiner Freunde, ohne die Geduld bei der Krankenhausrecherche und das feine Gespür, den richtigen Ton in der Stimme bei der Bitte, ihn mit mir zu verbinden, hätten wir uns niemals verabschieden können. Das Gespräch dauerte ungefähr zwei Minuten und seine letzten Worte waren: „Ich umarme dich.“ Von ihm hörte ich nie mehr, ein halbes Jahr lang war er noch bei Bewusstsein, dann fiel er ins Koma, aus dem er nicht mehr erwachte. Ziemlich genau ein Jahr nach unserem Telefonat starb er. Davon erfuhr ich erst viel später. Einige Monate zuvor hatte ich noch einmal versucht ihn zu besuchen, ohne jegliche Information über seinen Zustand. Wieder war es diese Frau, die mich noch vor dem Krankenhauszimmer abfing und verhindern wollte, dass ich ihn sah. Wieder war es dieser Freund, der bewirken konnte, dass ich für kurze Minuten noch einmal meines Vaters Hand hielt, auch wenn er es nicht mehr spüren konnte. Ein guter Moment, in dem sich Vieles relativierte.

All das konnte ich noch nicht wissen, als ich in der unverhofften Geborgenheit den Hörer auflegte. Damals sahen mich meine Freunde an und wir machten gemeinsam einen Spaziergang durch den Regen, um die Beklommenheit los zu werden, die uns mittlerweile alle erfasst hatte. Dabei zeigten sie F. und mir die nassen Feigenbäume und wir kosteten die kleinen reifen Früchte. Nie zuvor hatte ich sie probiert. Seit dem liebe ich Feigen. Sie schmecken nach einem großen Geschenk nach langer Entbehrung, haben für mich die Frische eines Neuanfangs und das Stärkende wirklicher Anteilnahme und Freundschaft. Wenn ich mit meiner Magisterarbeit zu Ende bin, möchte ich die Sprachen meiner Freunde lernen - Italienisch und Französisch auch. Zeit, die Feigen zu waschen.

Donnerstag, 25. September 2008

gedankenlabyrinth am ende eines frühherbsttages I.

Zu müde, um die beiden Feigen abzuwaschen, die ich noch schnell im kleinen Obst- und Gemüseladen im vorderen Teil meiner Straße zum Abendbrot gekauft hatte. Diese Straße, die inzwischen so viele Cafés beherbergt, in diesen herbstlich duftenden Abendstunden ist sie in rotes und orangenes Licht getaucht aber, nicht von der Sonne, die hat sich schon vor 2 Stunden verabschiedet. Auf den Tischen flackern Kerzen in gelben und roten Papiertüten. Sie lassen die um sie sitzenden erwartungsfroh und jung aussehen. Die Caféleuchtreklamen imitieren die Tapetenmuster der 70er Jahre und auf den noch leeren Stühlen liegen einladend warme Decken. Eigentlich hätte ich Lust gehabt, hier in meiner Straße verabredet zu sein, eine heiße Schokolade zu schlürfen und mich an den leuchtenden Gesichtern zu wärmen. Aber mit wem ich mich auch getroffen hätte, ich wäre wohl zu müde gewesen um zu reden. Zuhause angekommen habe ich den kleinen Violinenbogen versucht zu leimen. Ein beinahe Totalschaden – an der Spitze angebrochen – einmal kräftig den Bogen spannen und er bricht endgültig durch. Mein Kollege schenkte ihn mir mit den Worten: „Brauchst du noch eine Bohnenstange?“ Eine Verleimung an dieser Stelle würde den Belastungen unter Spannung nicht mehr standhalten. Wahrscheinlich sieht er nach der Operation wieder ganz manierlich aus, aber ein „fortissimo“ wird er nicht mehr hervorrufen können. Muss er auch nicht, schließlich ist er bei mir gelandet und bei seinesgleichen, einem Artgenossen, noch ein bisschen kleiner als er und einem wunderschönen Korpus einer halben Violine, welcher der ganze Hals abgebrochen war, ein unschöner zersplitterter Stumpf, den ich ihr eines Winterabends glatt gehobelt und geschliffen habe. Ein unbeschreiblich faszinierendes Holzkörperchen, in dessen Poren und Ahornriegeln sich das Licht so schön bricht. Manchmal, wenn ich Besuch bekomme von Freunden und sich jemand über die kleine Hobelbank in meiner Küche wundert, auf der ich die Instrumententeile aufzubewahren pflege, lege ich ihnen das kleine holzglänzende Ding in beide Hände und höre sie sagen: „Oh… wie leicht.“ Ganz verstehen sie nicht, was es ist, das diese Faszination auslöst. Aber das macht nichts. Ich kann mich erinnern, bevor ich meinen ersten Geigenunterricht hatte, lag mein Instrument zwei Wochen auf unserem Wohnzimmertisch und ich habe es jeden Abend angestaunt und ganz vorsichtig berührt, meine Mutter hat mich gelehrt immer ganz vorsichtig zu sein.

Sonntag, 21. September 2008

schweben

schweben

die fenster vor mir pulsieren ihr licht
in den noch nicht ganz dunklen himmel.

in meinem zimmer,
das sich langsam aus seinem haus löst
und zur seifenblase wird,
schwebe ich über die abendlichen dächer,

vorbei an den antennen einer anderen welt
und an den schornsteinen vergangener tage.

meine fenstergläser werden zu astronautenscheiben,
rund
und glatt
und sicher zu meinen füßen.

ich lege mich darauf und fast könnte ich noch die baumwipfel streicheln,
die,
auf der anderen seite des glases,
um haaresbreite meine raumkapsel greifen.
die lichter der straßenlaternen flackern mir ein adieu.

kein geräusch mehr,
nur der wind in meinem kopf.
über mir geht riesig und rund der mond auf
und nimmt mich in seine arme.

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