melodie zum text

maronibrater


Welch ein Luxus, den Tag ausklingen lassen zu können in einem Zimmer für sich allein im Balkanhotel, zwischen den Flüssen Sava und Donau. Diesmal hatten wir zwei Tage Zeit. Vor einem Jahr waren es noch Saône und Rhône. Mein Denken wurde damals von dem unbändigen Wunsch beherrscht, aus dem Zimmer zu verschwinden, in dem wir alle vier die Nacht verbracht hatten, um in der einzigen noch verbleibenden Stunde in dieser schönen Stadt zu erfahren, wie man in ihren Traboules verloren gehen kann.
Schon im Flugzeug bekamen wir zu spüren, daß uns das Institut, das uns eingeladen hatte, verwöhnen würde. Der Aufenthalt in Wien reichte gerade dafür aus, sich nicht für die teure Literaturzeitschrift zu entscheiden, in der das Buch über den Briefwechsel von I.B. und P.C. besprochen wurde, sondern später lieber das Buch selbst zu erstehen. Der Betonung der Ansagen zu lauschen war schön, selbst im Englischen meinte ich etwas Wienerisches zu erkennen. Hoffentlich dauert es nicht all zu lang bis ich das nächste Mal in diese Stadt treten kann mit etwas Zeit im Koffer. Dann wohl eher über den Westbahnhof als über einen Airport.

Kurz vor der Landung in Beograd sahen wir viele kleine Häuser und Hausboote im Fluss, in dem die Nachmittagssonne blinkte, einige davon waren Restaurants und Veranstaltungsorte, wie wir später erfahren sollten. Es dauerte eine Weile bis wir abgeholt wurden und so hatten wir Gelegenheit, uns vor dem Flughafen ein Plätzchen in der Sonne auf einem schmalen Wiesenhang zu suchen und das Treiben der Ankunft und des Abschieds zu beobachten. Es roch nach Herbst und Laub und Feuer. Unsere Instrumente standen deutlich vor uns aufgebaut, um unseren fremden Begleiter zu uns zu führen. Wir hielten Ausschau nach einem, der wie ein Suchender aussah. Hin und wieder traten Männer an uns heran, die diskret fragten, ob wir ein Taxi benötigten. Auffallend war die Verschiedenheit ihrer Taxis. Vor dem Gebäude standen Wagen diverser Fabrikate, Größen und Farben, ältere und neuere. Selbst die auf den Dächern montierten Taxischilder variierten in Größe und Form.
Die ankommenden Damen hatten nicht selten einen üppigen Blumenstrauß in der Hand und wurden meist von vielen erfreuten Menschen herzlich begrüßt. Das kam mir vertraut vor, aber die Normalität dieser Beobachtung liegt weit zurück…
Inzwischen war ein eierschalenfarbiges Taxi vorbei an allen anderen gefahren, positionierte sich ganz vorne in der Reihe, der auf Fahrgäste wartenden Männer und ließ Reisende einsteigen. Wie würden die länger Wartenden reagieren? Darauf war ich wirklich gespannt. Der Fahrer des dunkelgrünen Mercedes, der direkt hinter dem soeben angekommenen Taxi stand, stieg aus, montierte zügig sein Taxischild ab, legte es in den Kofferraum und fuhr ohne weiteres Aufsehen vom Platz. Die anderen Fahrer wirkten gelassen.

Hinter uns sprang unterdessen eine graugetigerte Katze wie ein Hase die Böschung hinauf.

Unser Begleiter traf ein, entschuldigte sich für die Verspätung und manövrierte uns die 15 Kilometer bis zur Innenstadt durch den dichten Verkehr. Während der Fahrt erzählte er uns ein wenig über seine Stadt und die Veränderungen, die sie und ihre Menschen wandelten. Von den Feldern neben der Stadtautobahn sah ich Rauchsäulen aufsteigen, daher der Herbstgeruch in der Luft, den ich später noch in der Innenstadt zu spüren meinte und irrtümlicher Weise darauf zurück führte. Wir sahen Ikarusbusse, Tatrastraßenbahnen, Trolleybusse und ein Gebäude mit bizarrer Silhouette, das „Zepter“, das zur Hälfte Wohnhaus und zur Hälfte Aussichtsturm ist. Vor Jahren drehte sich im Turm ein Café um die eigene Achse, hatten sie die Dinger damals in Serie gebaut? Ich hatte gehofft, an die Kindheit erinnert zu werden, es funktionierte. Ich freute mich über das Kyrillische. Unser Fahrer beantwortete uns viele der Fragen, die wir noch gar nicht zu stellen gewagt hatten. Er gab uns den Rat, beim Überqueren der Straße wirklich vorsichtig zu sein. Ihm würde eine Metro fehlen und die steigende Rücksichtslosigkeit zu schaffen machen, auch die vielen Autos und der Bauboom, alle wollten in diese Stadt. Belgrad hat wohl an die 2 Mio Einwohner und bestand aus einem neueren, in den 1960er Jahren erbauten Teil und der Altstadt.
Was wir sahen in der wahrlich kurzen Zeit war sehr urban, lebendig, kontrastreich. Neben monumental wuchtigen Ostbauten fanden sich mit mediterraner Patina überzogene palastartige Häuser, alte Kreditinstitute, Parks, zahlreiche Brücken, Universitätsgebäude, prunkvolle Kirchen, Märkte, eingerüstete Wohnhäuser und einige wenige unglückselige Betonbauten, denen ihr Inneres fehlte, das herausgerissen war, klaffend und verbrannt. Eher noch Wunden als schon Narben. In welchen Teil der Stadt er uns brächte, fragte ich. In den modernen, gleich neben der großen Fußgängerzone mit den Hotels, antwortete er. Schade, dachte ich.

Die Menschen, die uns begegneten am Abend, in der Straße, deren Häuser an ein schlafendes Ostseebad erinnerten, gingen ihren Geschäften nach oder packten langsam ihre Sachen zusammen, die sie an einem langen Tag zu verkaufen versucht hatten. P., die vor einer Woche bereits in Belgrad zu tun hatte, war schon ein wenig ortskundig und führte uns in der einsetzenden Dämmerung in den schönen Park Kalemegdan über der Stadt zwischen den Flüssen. Viele Menschen saßen auf den Wiesen und genossen den Weitblick. Etwas Vertrautes war in der Luft, oder nur in meinem Kopf, nicht klar zu fassen, aber angenehm. Ich dachte an Dresden. Die Fledermäuse flatterten auffallend langsam und dicht an uns vorüber. Ich fand, es roch hier nach Frühling, die anderen meinten, es wäre der Herbst, den es bei uns fast nicht mehr gibt, weil nach dem Sommer gleich der Winter käme. Wahrscheinlich war es das schwindende Abendlicht in Verbindung mit der Wärme. Es war so mild, daß wir es vorzogen draußen an einem Tisch bei einem serbischen Bier unser Abendbrot zu essen. Auf der anderen Straßenseite stand ein altes Haus, das verwunschen wirkte. Die obersten kleinen Dachfenster waren von einem schwachen Leuchten erhellt. Man sah, daß es sehr dicke Mauern haben mußte, in denen anscheinend noch jemand wohnte. Etwas erinnerte mich an den Charme von Wien, waren es die Stadt, ihre Menschen, oder der Pianist in einem Kaffeehaus?
Wir hatten endlich einmal Zeit, denn das Konzert würde erst am nächsten Tag stattfinden. Zeit, um zu reden, zu schauen, einmal nicht derart zu hetzen und sich gegenseitig zu stressen. Zeit, um zu fragen, Zeit zuzuhören. So war es auch nicht verwunderlich, daß wir nach immerhin nun schon 7 Jahren, in denen wir hin und wieder gemeinsam unterwegs sind, eines der schönsten und intensivsten Gespräche zu viert an diesem Abend hatten. Und so war es auch weiterhin nicht verwunderlich, daß wir am nächsten Abend, eines der interessantesten, vorsichtigsten und Aufschluß gebendsten Gespräche mit den Menschen hatten, die uns eingeladen haben. Was wir alles nicht wissen über Serbien, Bosnien, Slowenien, Kroatien, Jugoslawien, K&K-Monarchie, Österreich-Ungarn, Österreich, Ungarn, Deutschland, die Geschichte, was war, was ist und was wird. Kaum zu ermessen all das. Es gibt viel zu ergründen und es fällt um Vieles leichter, wenn es Menschen gibt, die sich dazu in Bezug setzen lassen. Wir würden gerne wieder kommen. Wir sind uns der Privilegien bewußt, die wir dieses Mal genossen haben. Wir. Dieses Wir gibt es selten. Die Verwirrung über diese Reisen auszuhalten ist anstrengend, besonders, wenn es nicht nur räumliche sind. Die Identitätswechsel auszuhalten auch. Sich souverän an Orten zu bewegen, mit denen man nicht kompatibel zu sein scheint, erfordert entweder gründliches Selbstvergessen oder große Stabilität und Offenheit. Es ist schwer, die Unselbständigkeit auf diesen Reisen zu überwinden, Ausbrüche gelingen nur für Minuten oder kurze Stunden.
Manchmal kommt man den Menschen nahe in der Zusammenarbeit am Projekt, für das man eingeladen wurde, in der Bewältigung von sich ergebenden Problemen unter Zeitdruck, beim Improvisieren und in der Verunsicherung. Was wir zu geben hatten, fühlte sich ein bisschen ernster an als sonst, irgendwie wichtiger, ein interessantes Gefühl, das wir den Menschen dort verdankten und dem Kontext der Einladung.
Eines noch ging mir im Kopf herum: In der Bar bei einem dieser guten Gespräche spielten sie immer wieder dieses Lied, dessen Text ich in letzter Zeit so oft gelesen hatte, abgesehen davon, daß es mir die Momente intensiven Nachdenkens ins Gedächtnis rief und eine Anwesenheit von Abwesenden, ich spürte, daß ich ihn nicht in seiner ganzen Dimension erfasst hatte. "Why"
Wie den Text eines Liedes verstehen, ohne die Melodie und den Gesang dazu zu hören?

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